Rhetorik und Überzeugung

In meiner aktiven Zeit, sowohl in der Politik als auch als professioneller Vortragsredner, habe ich Hunderte Vorträge vor einem breiten Publikum gehalten.

In fast allen Fällen ging es darum, ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit zu leisten, sowohl für die Politiker als auch für die Kunden, die mich gebucht haben. Ein Standpunkt sollte verkauft werden. Ein Argument sollte akzeptiert werden.

Zu diesem Zweck habe ich im Vorfeld viele Schulungen besucht und gelernt, wie man Menschen am besten angeblich überzeugt.

Die Relevanz der Rhetorik kam bei fast allen Schulungen vor und wie die Rhetorik benutzt werden kann, um die eigenen Standpunkte am besten zu verkaufen.

Der Grundgedanke war immer derselbe: Überzeugen und sich dabei der Rhetorik bedienen.

Interessant waren die Unterhaltungen mit ehemaligen Teilnehmern meiner Veranstaltungen.

Es wurde berichtet, dass ich rhetorisch optimal aufgestellt war und es gab kaum Gegenargumente, die ich nicht sofort selbst entkräften konnte. Meine Auftritte waren authentisch und souverän. Ich war immer ein sympathischer Vortragsredner, der offensichtlich fachlich und sachlich gut vorbereitet war.

Von den zahlreichen Teilnehmern an allen Veranstaltungen haben mir jedoch nur zwei Personen mitgeteilt, dass sie ihre eigenen Überzeugungen aufgrund meines Vortrags geändert haben. Alle anderen haben ihre Überzeugungen in dem jeweiligen Bereich, der in meinem Vortrag behandelt wurde, nicht geändert. Und das sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft.

Ich habe diese Erfahrungen vor fast zehn Jahren gemacht und meine Präsentationen und Arbeitsmethoden entsprechend angepasst, von mehr Rhetorik und Überzeugung zu mehr Offenheit und Zugänglichkeit für Gegenargumente.

Viele Menschen sagen mir inzwischen, dass sie mir absolut blind vertrauen, weil ich nicht versuche, die Menschen mit Rhetorik zu überzeugen, sondern mit ihnen zusammenarbeite, um Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

Rhetorik kann helfen, Argumente in Talkshows zu gewinnen, aber sie ist nutzlos, um Überzeugungen oder Meinungen zu ändern.

Offenheit, Ehrlichkeit und die Bereitschaft zu akzeptieren, dass der eigene Standpunkt vielleicht doch nicht richtig ist, ist der einzige glaubwürdige Weg, um Menschen von einer anderen Sichtweise zu überzeugen.

Und das hat absolut nichts mit Rhetorik oder Überredungskunst zu tun.

Überzeugt bis zur nächsten Überzeugung

Der 45-Jährige trug in seiner Jugend eine Brille und wechselte im Laufe der Zeit zu Kontaktlinsen.

Die Kontaktlinsen kosteten ihn 60 € im Monat, aber eine Brille war nichts für ihn, und er war mit den Linsen zufrieden. Er war überzeugt, dass er das Richtige tat.

Dann hörte er von einer Lasertherapie, die seine Augen dauerhaft verbessern und es ihm ermöglichen könnte, keine Kontaktlinsen mehr zu tragen. Er hatte die Techniken der Lasertherapie studiert und wollte sie nun auch anwenden. Er war überzeugt, dass er das Richtige tat.

Die Therapie sollte gestern durchgeführt werden, aber eine Erkältung hat seine Pläne verschoben.

Als er in der Praxis anrief, um seinen Termin zu verschieben, sprach er zufällig mit einem anderen Arzt, der ihn nach seinem Alter fragte.

Der Arzt riet ihm aufgrund seines Alters von dieser speziellen Lasertherapie ab. Es gab eine alternative Therapie, die für sein Alter besser geeignet war, die schonender für seine Augen war, aber mit dem gleichen Ergebnis, dass er keine Brille mehr tragen musste.

Er entschied sich für diese neue Therapie und war dankbar, dass er darauf aufmerksam gemacht wurde. Er war überzeugt, dass er das Richtige tat.

Ob er nun diese neue Therapie machen wird, wird sich zeigen.

Ist es nicht das, was wir mit vielen unserer Überzeugungen tun? Wir halten an ihnen fest, bis eine neue Überzeugung die alte ersetzt?

Manche Überzeugungen halten ein Leben lang. Andere hingegen bleiben bestehen, bis sie ersetzt werden.

Es könnte sich lohnen, einen Moment darüber nachzudenken, was unsere Überzeugungen wirklich sind und was nur Meinungen sind.

Die werden häufig miteinander verwechselt.

Antwort und Anregung

Die Suche nach Antworten ist so alt wie die Menschheit selbst.

Und diese Suche nach Antworten ist nicht nur in philosophischen Bereichen Teil unserer DNA, sondern ist auch im Alltag fest verankert.

Das Problem bei vielen Antworten ist ihre Anwendbarkeit.

Wenn zwei Personen mit genau demselben Problem konfrontiert sind, kann eine Antwort für die erste Person perfekt und für die zweite ungeeignet sein.

Hinzu kommt die Vielfalt der Antworten. Menschen mit viel Erfahrung, Wissen und Bildung haben nicht immer die gleiche Meinung oder die gleichen Lösungsansätze für ein und dasselbe Problem.

Um die Anwendbarkeit und damit die Erfolgsaussichten für das jeweilige Problem zu erhöhen, müssen viele Antworten als das gesehen werden, was sie sind: Anregungen.

Wenn wir Antworten zunächst nur als Anregungen betrachten, sind wir im Allgemeinen offener für weitere und unterschiedliche Antworten.

Und dadurch erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich die beste Antwort herauszufinden.

Nicht perfekt sein

Viele Menschen neigen dazu, in mindestens einem Bereich ihres Lebens ein wenig perfektionistisch zu sein.

Diese Neigung kann nachvollziehbar und in vielen Bereichen auch erstrebenswert sein.

Gemeint ist jedoch meist der Wunsch, so gut wie möglich zu sein.

Wenn wir vorwiegend danach streben, so gut wie möglich zu sein, aber nicht immer perfekt, dann ist es wahrscheinlicher, dass wir Momente des wahren Perfektionismus erleben, als wenn wir versuchen, von vornherein perfekt zu sein.

Nicht perfekt zu sein, kann an sich schon perfekt sein.

Wir müssen nur manchmal einen Moment darüber nachdenken.

Erwartungen verstehen

Damit Erwartungen überhaupt entstehen können, müssen die Rahmenbedingungen von allen Seiten erst verstanden werden.

Es ist nicht notwendig, mit den Erwartungen einverstanden zu sein, sondern nur, sie zu verstehen.

Es wird erwartet, dass man sich an Gesetzen hält, unabhängig davon, ob man damit einverstanden ist oder nicht. Das ist selbstverständlich.

Problematisch ist es jedoch, wenn Unkenntnis herrscht, denn Erwartungen können nicht ohne Verständnis von allen Beteiligten entstehen.

Wo Unwissenheit herrscht, können keine Erwartungen gerechtfertigt werden.

Erwartungen sind nicht selbstverständlich.

Unwissenheit schützt bekanntlich zwar nicht vor Strafe, aber hier werden lediglich die Symptome bekämpft und nicht die Ursachen.

Damit mehr Verständnis von allen Seiten entstehen kann, ist eine verstärkte Aufklärung, beginnend in der Schule, aber fortgesetzt im Erwachsenenalter, und zwar in relevanten und alltäglichen Bereichen, ein guter Anfang.

Erst mit Verständnis kann Erwartung entstehen.

Alles andere ist Wunschdenken und Hoffnung, aber nicht Erwartung.